4. April 2015 Josef Gabriel

„Nawi te çi ye?“, fragt Mike Malke, Dialogbeauftragter der Hilfsorganisation We Are Christians – Aramaic Charity Organization e.V., das junge Mädchen verwundert, welches mit ihren großen, dunklen Augen während eines Interviews zu ihm aufschaut und einfach seine Hand ergreift, ohne ihn um Erlaubnis zu bitten. „Lara“, antwortet das Mädchen leise und schüchtern. Sie rührt sich auch nicht vom Fleck, sondern hält während des ganzen Interviewgesprächs weiterhin Malkes Hand und folgt ihm überall hin in Lalisch.

Auf seiner ersten Irakreise im Oktober 2014, besuchte Malke die Menschen in der jesidischen Stadt Lalisch, in dem sich das zentrale Heiligtum der Jesiden befindet. Lalisch liegt ca. 60 km nördlich der Stadt Mosul und gilt den Jesiden als der heiligste Ort auf Erden, so wie den Christen und Juden die Heilige Stadt Jerusalem.

Durch den Einmarsch der radikalen Terrororganisation IS im Sindschar-Gebirge, wurden im August 2014 etwa 10.000 Menschen eingekesselt. Bei ihnen soll es sich mehrheitlich um jesidische Zivilisten handeln, darunter viele Frauen und Kinder. Tausende aus den benachbarten Dörfern hatten die Flucht ergriffen und sich in Lalisch vor der Terror-Miliz IS in Sicherheit gebracht. Die Lage der Familien und der dramatische Anstieg der minderjährigen Flüchtlinge sind bis heute besonders hoffnungslos, weil viele von ihnen in Notbehausungen, im Schlamm, in Bauruinen, Parks oder am Straßenrand campieren.

Lara ist eines von vielen Kindern, die von heute auf morgen alles verloren haben. Malke erkundigt sich über die Lage der Flüchtlinge und begegnet dem jesidischen Präsidenten, der ihn zum Essen einlädt. Lara hält Malkes Hand immer noch fest und geht barfuß neben ihm her. Sie weigert sich zu essen und schmiegt sich an den jungen Mann, der in ihr eine familiäre Vertrautheit auslöst. Sie verlangt nichts und bittet auch um nichts. Sie will lediglich für einen kurzen Moment dieses Gefühl von Geborgenheit und Sicherheit spüren.

So ergeht es den meisten Flüchtlingskindern im Irak, die nichts mehr besitzen und völlig traumatisiert, ohne eine Perspektive und sichere Zukunft, in den Tag hineinleben.

Seit dem Eroberungszug des IS im Jahr 2014 und der zunehmenden Massenflucht vor der Gewalt, spielt sich in dieser Region eine Tragödie ab, deren Ursache in der nicht mehr aufzuhalteden Gewaltspirale zu finden ist und die „universalen Menschrechte“ in jeder Hinsicht torpediert. Das menschenverachtende und radikale Vorgehen des IS richtet sich gegen alle Minderheiten im Nahen Osten, die nicht dem „idealen Weltbild“ des islamischen Staates entsprechen; darunter fallen Christen, Juden, Jesiden, Schiiten, moderate Sunniten, Kurden und Shabaks.

Mit den Christenpogromen in Mosul eskalierte im August 2014 die Situation und löste einen internationalen Sturm der Entrüstung aus. Die älteste christliche Gemeinde im Irak wurde über die Lautsprecher der Moscheen aufgefordert, Mosul, die zweitgrößte Stadt des Landes, innerhalb von zwei Tagen zu verlassen, es sei denn sie würde zum Islam konvertieren und eine Sondersteuer zahlen. Andernfalls droht der christlichen Gemeinde der Tod. Über 160.000 irakische Christen sind seitdem auf der Flucht und leben in Flüchtlingslagern unter schrecklichen Bedingungen. Hinzu kommt noch, dass nach der Vertreibung „neue Feinde“ eingetreten sind, wie:

  • Hunger
  • Not
  • Kälte durch den Wintereinbruch
  • Krankheiten aufgrund der mangelnden Hygiene

Um das Ausmaß der schon bestehenden humanitären Katastrophe zu reduzieren, wurde die Hilfsorganisation We Are Christians Aramaic Charity Organization e.V. von engagierten Aktivisten in Deutschland gegründet, mit dem Ziel, die Not der Flüchtlinge in den Heimatländern etwas zu lindern und ihnen emotional beizustehen. Allein im November 2014 wurde eine Weihnachtsaktion mit dem Namen „Schuhkarton- und Winterkleidersammlung” von ehrenamtlichen Helfern der Organisation ins Leben gerufen, die ca. 40 Tonnen Winterbekleidung, 1500 Weihnachtsgeschenkpakete für Kinder und über 5000 Babynahrungspakete aus Deutschland in den Irak verschickten. Zweimal ist bereits eine Delegation aus Vertretern der Hilfsorganisation auf eigene Kosten in den Irak gereist und hat Vorort die in Deutschland gesammelten Hilfsgüter in Empfang genommen und auf die jeweiligen Flüchtlingslager verteilt.

Die ehrenamtlichen Helfer, Mike Malke, Josef Gabriel, Markus Stefan, Arkaj Hanceroglu und Jakob Jakob hatten so die Gelegenheit, sich ein Bild über die Lage der Flüchtlinge zu machen, um proaktiv agieren zu können und die Bedürftigen zu unterstützen.

Zu diesem Anlass berichtete Mike Malke, Dialogbeauftragter von der We Are Christians – Aramaic Charity Organization e.V., im Kirchensaal der Syrisch-Orthodoxen St. Marien Kirche in Augsburg am 15. März 2015 über die humanitäre Lage im Irak. Er gewährte uns durch die Reiseeindrücke der Organisation tiefe Einblicke in das Leid der Flüchtlinge und in seine persönlichen Erfahrungen.

Viele Mitglieder aus der Kirchengemeinde der „Syrisch-Orthodoxen St. Marien Kirche von Augsburg“ und junge Leute folgten der Einladung, um sich einen ersten Eindruck über die Situation der Flüchtlinge im Irak und die Hilfsmaßnahmen der Organisation zu verschaffen. Weitere Vertreter aus den unterschiedlichen Vereinen waren ebenso anwesend; einmal aus dem „Aramäischen Suryoye Kultur- und Sportverein Augsburg e.V.“, dem „Mesopotamien Verein Augsburg e.V.“, der „Deutsch-Aramäischen Gesellschaft e.V. (DAG)“, der „Assyrischen Demokratischen Organisation Augsburg“ und aus dem „Tur Abdin Mor Dodo Kultur- und Sportverein Augsburg e.V.“

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(Grußwort: Josef Gabriel – 1. Vorsitzender von We Are Christians – Aramaic Charity Organization e.V.)

Das Grußwort hielt der erste Vorsitzende der Hilfsorganisation „We Are Christians – Aramaic Charity Organization e.V.“, Josef Gabriel. Er bedankte sich bei den Gästen für ihr Erscheinen und ihre solidarische Unterstützung.  Nach der Dankesrede von Gabriel, ergriff Mike Malke das Wort und lieferte uns zu Beginn der Veranstaltung Erkenntnisse über die große Tragödie der Flüchtlinge im Irak. Er schilderte die schweren Schicksalsschläge einzelner Familien, die neben ihrem Hab und Gut auch Familienmitglieder verloren haben. Weiter wurde über den humanitären Einsatz der Hilfsorganisation ausführlich referiert, wie die Flüchtlinge versorgt worden sind und welche Hilfsmaßnahmen durchgeführt wurden.
Dabei betonte Malke, dass die Organisation bei der Verteilung der Hilfsgüter keine Unterschiede zwischen den Ethnien gemacht hat, „denn als überzeugte Christen sehen wir uns in der Pflicht, alle notbedürftigen Menschen ohne Unterschiede überkonfessionell zu helfen“.

(Mike Malke – Dialogbeauftragter von We Are Christians - Aramaic Charity Organization e.V.)

(Mike Malke – Dialogbeauftragter von We Are Christians – Aramaic Charity Organization e.V.)

Christen, Jesiden und Muslime wurden mit Grundnahrungsmitteln, Winterkleidung, Heizkörper und weiteren lebensnotwendigen Rationen ausgestattet, um den Winter zu überstehen. Die We Are Christians – Aramaic Charity Organization e.V. konnte für hunderte von Familien Heizstrahler beschaffen und verteilte über 12.000 Liter Heizöl an die Flüchtlinge. 10 Fässer mit insgesamt 2000 Litern Diesel wurden vor Ort gekauft, damit in einigen Camps die Stromgeneratoren am Laufen gehalten werden konnten. Viele Familien hatten nicht mehr genug zu essen, so dass ihre Kinder hungerten, schwächer wurden und durch den Mangel an medizinischer Versorgung erkrankten. Dank der finanziellen Hilfe durch Spendeneinnahmen, konnten Medikamente für 18.000 USD eingesetzt werden.

Was hat den Dialogbeauftragten persönlich dazu bewegt in den Irak zu reisen, den Flüchtlingen in ihrer Not beizustehen und humanitär zu helfen? Malke blickte nachdenklich zurück und erzählte von seiner ersten Auseinandersetzung mit dem Genozid von 1915, als ein systematischer Völkermord an den Armeniern, Aramäern (=Suryoye), Pontosgriechen und an weiteren Minderheiten im Osmanischen Reich durch die Jungtürken verübt wurde.

„Die schrecklichen Ereignisse vor 100 Jahren wiederholen sich durch die aktuellen und grausamen Gegebenheiten im Nahen Osten. Unser Volk wird erneut verfolgt, diffamiert und aus seiner ursprünglichen Heimat vertrieben. Wir können hier nicht einfach tatenlos zusehen, wie unsere Frauen, Männer und Kinder aufgrund ihres Glaubens verfolgt, verschleppt und massakriert werden. Wir stehen alle in der Verantwortung, Menschen in Not zu unterstützen, ob durch Gebete, Spenden oder humanitären Einsatz.“

In diesem Zusammenhang illustrierte Malke anhand von Diashowbildern eine sehr traurige Begegnung mit einer christlichen Flüchtlingsfamilie, deren dreijährige Tochter Christina vor ca. neun Monaten aus den Händen der Mutter von IS-Kämpfern entrissen wurde, weil die Familie sich geweigert hatte, ihren christlichen Glauben aufzugeben und nicht zum Islam konvertieren wollte. Bis heute will der IS die dreijährige Tochter nicht freigeben und hält sie bei sich in Gewahrsam.

(Auf dem Bild ist die 10-jährige Schwester Basma von der dreijährigen entführten Christina mit Mike Malke zu sehen)Christine
 (V.l.n.r. Basma - Schwester von Christina, Mike Malke, Christina)

Das We Are Christians Team appellierte hinsichtlich dieser tragischen Umstände an die Solidarität der internationalen Staatengemeinschaft und forderte die Einrichtung einer Schutzzone für die verfolgten Christen und Jesiden durch ein UN-Mandat der Vereinten Nationen, damit die Menschen wieder in Sicherheit und menschenwürdig leben können. Wenn es im Nahen Osten keine Christen mehr gibt, verliert die gesamte Christenheit weltweit ihre religiösen Wurzeln. Das wäre eine verheerende Katastrophe, zumal die Christen im Orient schon immer friedliche Brückenbauer gewesen sind und zum wirtschaftlichen Erfolg in vielen arabischen Staaten beigetragen haben.

Zudem wünschte sich die gesamte Hilfsorganisation von den europäischen Islamverbänden und von der friedlich-lebenden Mehrheit der Muslime eine stärkere, solidarische Präsenz mit den verfolgten Minderheiten in den Heimatländern. Im Anschluss wurden alle individuellen Fragen der Gäste vom Vorstand der Hilfsorganisation We Are Christians beantwortet und Videoaufnahmen präsentiert, die das Schicksal der Menschen und die Eindrücke des Krieges realistisch demonstrierten.

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Die anwesenden Gäste waren nach dem Vortag emotional sehr bewegt und mitgenommen. Sie bekundeten ihren Zuspruch und ihre solidarische Hilfsbereitschaft, die Flüchtlinge humanitär zu unterstützen, so dass an diesem Tag 1.000 € von der Deutsch-Aramäischen Gesellschaft (DAG), 500 € vom aramäischen „Suryoye Sport- und Kulturverein e.V.“ und 827,70 € von den anwesenden Privatspender zusammengekommen sind. Dafür bedankte sich die Hilfsorganisation bei den Spendern ganz herzlich. Ebenso bekundete der Vorstand der Hilfsorganisation seinen besonderen Dank an die Kirchengemeinde der Syrisch-Orthodoxen St. Marien Kirche von Augsburg für die Bereitstellung des Saales und an Naila Özdemir sowie an weitere hilfsbereite Frauen aus dem Aramäischen Suryoye Kultur- und Sportverein Augsburg e.V., die durch den Verkauf von Gebäck und Kuchen den ganzen Erlös an die We Are Christians – Aramaic Charity Organization e.V. gespendet haben.  

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Jakob Jakob – Vorstandsmitglied, Sema O. Rohyo – Redaktion We Are Christians, Josef Tozman – Vorstandsmitglied We Are Christians & Esmer Akgüc

Das Team von der We Are Christians – Aramaic Charity Organization e.V. plant im Juni 2015 seine nächste humanitäre Reise in den Nahen Osten, wo neben dem Irak auch der Libanon im Fokus steht. Damit die Flüchtlinge weiter nachhaltig unterstützt werden können, sind sie auf unsere Spenden angewiesen. Bitte helfen Sie und spenden Sie auf dieses Konto. Alle Spendengelder kommen 100 % den Bedürftigen zugute.

We Are Christians – Aramaic Charity Organization e.V.

Spendenkonto: Kreissparkasse Göppingen
Kontonummer: 1255548165 | BLZ: 61050000
IBAN: DE94610500001255548165 | BIC/SWIFT: GOPSDE6GXXX

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(Textverfasser Sema O. Rohyo)
(Fotos: Sabri Gök)